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Ratschläge beim Vorwurf einer Sexualstraftat

Aussagepsychologie

Im Sexualstrafverfahren steht in der Regel Aussage gegen Aussage. Dies stellt einer der besonders schwierigen rechtlichen und tatsächlichen Konstellationen dar und erfordert eine umfassende Expertise, um eine professionelle Strafverteidigung zu gewährleisten. Keinesfalls wird bei Aussage gegen Aussage automatisch freigesprochen oder eingestellt. Das Gegenteil ist der Fall.

Zu den Folgen bei Aussage gegen Aussage und unserer Expertise in dieser Konstellation lesen Sie hierzu mehr.

 

Nirgendwo ist die Falschaussagenquote so hoch, wie im Sexualstrafrecht. Falsche Verdächtigungen aufgrund von bewussten Lügen oder aber subjektiv realitätsfernen Erleben sind nicht nur eine theoretische Idee von Strafverteidigern bei Aussage-gegen-Aussage-Konstellationen, sondern typische und alltägliche Erscheinungsform im Sexualstrafrecht. Die Frage der Glaubhaftigkeit einer Belastungsaussage und die Glaubwürdigkeit eines Belastungszeugen stellen sich daher im Sexualstrafrecht nahezu in allen Fällen in besonderem Maße.

Engagement und Hartnäckigkeit sind sicherlich Grundvoraussetzungen für eine gute Strafverteidigung in diesen Fällen; es darf aber vor allem nicht an der Fachkompetenz zur Aussagepsychologie fehlen. Nachfolgend stellen wir Ihnen Grundlagen der Aussagepsychologie dar.

Glaubwürdigkeit und Glaubhaftigkeit

Im Sexualstrafrecht aber auch anderswo wird zwischen der Glaubwürdigkeit oder der Unglaubwürdigkeit einer Person und der Glaubhaftigkeit oder der Unglaubhaftigkeit einer Aussage unterschieden. Eine grundsätzlich glaubwürdige Person kann also unglaubhaft aussagen und eine unglaubwürdige Person kann glaubhaft aussagen.

Für die Strafverteidigung im Sexualstrafrecht, insbesondere bei Aussage-gegen-Aussage-Konstellationen bedeutet dies zwei Ansatzpunkte. Zum einen kann eine Person bereits unglaubwürdig sein. Dies kann mit der besonderen Beziehung der Person zum Angezeigten oder aber ihrer Lebensgeschichte und bestimmten Krankheitsbildern (z.B. Borderline) in Zusammenhang stehen.

Auf der anderen Seite kann völlig unabhängig davon eine Aussage als glaubhaft oder unglaubhaft bewertet werden. Dies richtet sich nicht, wie viele glauben, nach dem Bauchgefühl von Staatsanwälten, Richtern oder Anwälten, sondern ist vielmehr vorgegeben durch die Erkenntnisse der Aussagepsychologie und der dazu vorgegebenen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes. Erfolgreich im Sexualstrafrecht kann daher nur verteidigen, wer bestens mit der Aussagepsychologie und der dazugehörigen Rechtsprechung und Literatur vertraut ist.

Suggestionen bei der Vernehmung

Vernehmungen im Sexualstrafrecht werden in aller Regel durch speziell hierfür geschulte Polizeibeamte vorgenommen. Man möchte meinen, dass derartige Vernehmungen daher besonders professionell und unter Berücksichtigung der aussagepsychologischen Erkenntnisse stattfinden. Unserer Erfahrung nach ist dies in aller Regel nicht der Fall. Die Beamten wollen und müssen Ermittlungserfolge vorweisen und wissen, dass diese im Sexualstrafrecht in der Regel nahezu ausschließlich an der Aussage eines Zeugen hängen. Dieser sogenannte Ermittlungsdruck führt häufig dazu, dass Polizeibeamte Opfern oder vermeintlichen Opfern von Sexualstraftaten, insbesondere Kindern, die Worte in den Mund legen, also eine sogenannte suggestive Befragung vornehmen.

Die meisten Menschen, insbesondere aber Kinder, weisen einen geringen Suggestionswiderstand auf und nicken genau das ab, was man ihnen vorgibt. Eine solche Aussage erhärtet nur auf den allerersten und ungeschulten Blick den dann im Raum stehenden Tatvorwurf.

Nach der Aussagepsychologie, deren Anwendung man dann jedoch der Staatsanwaltschaft oder dem Gericht vielfach aufzwingen muss, ist eine solche Aussage gerade nichts wert. Finden sich in der Vernehmung nur pauschale, detailarme Behauptungen, die sodann nicht originär vom Zeugen, sondern von den Ermittlungsbeamten stammen, ergeben sich bereits vielfältige Angriffspunkte für die Verteidigung im Ermittlungsverfahren.

Aus falschverstandener Nächstenliebe gehen die Vernehmungsbeamten vielfach auch Widersprüchen und Unplausibilitäten nicht nach. Diese bleiben dann so in der verschriftlichen videodokumentierten Vernehmung stehen. Auch hieraus lassen sich wiederum Ansatzpunkte für eine Strafverteidigung entwickeln.

Wer bewertet die Aussage als erstes?

Irrtümlich nehmen viele Rechtsanwälte und auch juristische Laien an, die Staatsanwaltschaft würde als erstes die in der Akte befindliche Aussage eines Zeugen analysieren. Zuzugeben ist, dass es genau auf diese Analyse, gerade bei Aussage-gegen-Aussage-Konstellationen im Sexualstrafrecht, ankommt. Es ist auch richtig, dass es auf Seiten der Staatsanwaltschaft die Aufgabe ist, diese Aussage zu analysieren, um danach zu entscheiden, ob auf die Aussage eine Anklage gestützt werden kann. Tatsächlich aber findet eine solche ausführliche aussagepsychologische Analyse durch die Staatsanwaltschaft vielfach gar nicht statt.

Zum einen gewähren Staatsanwälte, was verständlich ist, nachdem sie die Akte von der Polizei erhalten haben, zunächst dem Verteidiger, der sich zu diesem Zeitpunkt idealerweise bereits für den Beschuldigten legitimiert hat, Akteneinsicht, ohne vorher eine umfassende aussagepsychologische Analyse vorzunehmen.

Wenn dann der Verteidiger in seinem Verteidigungsschriftsatz eine solche aussagepsychologische Analyse bereits zu Gunsten des Beschuldigten vornimmt, wird der Staatsanwalt vielfach den Verteidigungsschriftsatz zuerst lesen, bevor er eine eigene aussagepsychologische Analyse anstellt. Dann ist die erste Person, die die aussagepsychologische Analyse vorgenommen hat eben nicht der Staatsanwalt oder die Staatsanwältin, sondern der Strafverteidiger oder die Strafverteidigerin.

Hier wurzeln bereits große Chancen im Ermittlungsverfahren. Unsere Aufgabe als Rechtsanwälte im Sexualstrafrecht, insbesondere bei Aussage-gegen-Aussage-Konstellationen, ist es also nach Akteneinsicht die Aussage umfassend aussagepsychologisch zu analysieren und alle Schwächen der Aussage schriftlich sowie rechtsprechungs- und literaturbasiert darzulegen. So kann die Staatsanwaltschaft von Anfang an gezielt auf die Schwächen hingewiesen werden und in vielen Fällen eine Anklage verhindert werden.

Wenn dann eine Einstellung mangels Tatverdacht erreicht wird, ist für den Beschuldigten eine immer äußerst belastende Hauptverhandlung erspart und eine geräuschlose Beendigung des Verfahrens erreicht.

Vielfach sind die Staatsanwaltschaften auch bemüht, eine Aussage irgendwie noch als glaubhaft zu bewerten; dies obwohl sie von Gesetzes wegen zur objektiven Ermittlung verpflichtet sind. Mit einem umfangreichen Verteidigerschriftsatz kann die Staatsanwaltschaft von Anfang an in die für den Mandanten günstigste Perspektive gebracht werden. Die komprimierte Darstellung aller Schwächen einer Aussage und der Verweis auf die Rechtsprechung hat unserer Erfahrung nach auch schon Staatsanwälte, die sehr zur Anklagen neigen, von eben dieser abhalten können.

Diese Überzeugungskraft eines Einstellungsantrags entfaltet sich allerdings nur, wenn die Aussage umfassend sachlich beurteilt wird und die Regeln der Aussagepsychologie eingehalten werden. Kein Staatsanwalt wird sich mit pöbelhaften oder unsachlichen Erwägungen gegen die belastende Aussage davon abhalten lassen, Anklage zu erheben.

Was bedeutet aussagepsychologische Analyse?

Für den Fachanwalt für Strafrecht und Strafverteidiger im Sexualstrafrecht wird idealerweise bereits im Ermittlungsverfahren eine umfassende aussagepsychologische Analyse vorgenommen und im Rahmen dieser gegenüber der Staatsanwaltschaft alle Schwächen der Aussage eines Zeugen, der den Mandanten belastet, dargetan. Zu einer aussagepsychologischen Analyse gehören unter anderem folgende Überprüfungen:

  • Erfüllt die Schilderung der Aussage überhaupt einen Tatbestand? Dieser Prüfschritt gehört streng genommen nicht zur aussagepsychologischen Analyse, ist aber gleichwohl im Sexualstrafrecht bedeutsam. Immer wieder werden Begebenheiten geschildert, die schon bei ihrer Wahrunterstellung keinen Tatbestand erfüllen.
  • Unterliegt die Aussage einem Beweisverwertungsverbot wegen verbotener Vernehmungsmethoden oder fehlender Belehrungen?
  • Ist die Aussage geprägt von Suggestionen durch Dritte oder den Vernehmungsbeamten? Lesen Sie hierzu auch zur Aussagegenese und Vernehmungsfehler.
  • Ist die Aussage unplausibel? Werden also Gegebenheiten geschildert, die nach übliche Erfahrungssätzen so nicht naheliegend oder gar ausgeschlossen sind?
  • Ist die Aussage in sich widersprüchlich?
  • Bei mehreren Aussagen: Ist die Aussage inkonstant? Häufig werden im Sexualstrafrecht mehrere Vernehmungen eines Zeugen durchgeführt. Widerspricht sich der Zeuge zwischen den Vernehmungen, so liegt eine Inkonstanz vor, die gegen die Glaubhaftigkeit der Aussage sprechen kann.
  • Ist die Aussage detailreich oder detailarm? Eine besonders detailarme Aussage, insbesondere wenn sie im Kerngeschehen abstrakt bleibt, ist wenig glaubhaft.
  • Ist die Aussage geprägt von einer deutlichen Belastungstendenz? Gegen die Glaubhaftigkeit von Aussagen spricht es, wenn ein Zeuge besondere Belastungstendenzen wiederholt vorbringt.
  • Gibt es eine Motivation zur Falschaussage? (Hier können Information des Mandanten bedeutsam sein).
  • Ist die die aussagende Person glaubwürdig? Zur Unterscheidung von Glaubhaftigkeit und Glaubwürdigkeit siehe hier.

BGH: Nullhypothese bei Aussage gegen Aussage

Wie bereits an anderer Stelle dargelegt, erfolgt im Sexualstrafrecht bei Aussage-gegen-Aussage-Situationen keinesfalls automatisch eine Einstellung oder ein Freispruch. Vielmehr ist häufig das Gegenteil der Fall, weil Staatsanwaltschaften und Gerichte auch bei brüchigen, wenig überzeugenden Belastungsaussagen dem (vermeintlichen) Opfer einen vom Gesetz und der höchstrichterlichen Rechtsprechung nicht vorgesehenen Vertrauenszuschuss zubilligen. Gerade im Ermittlungsverfahren ist dann der Anwalt für Sexualstrafrecht gefragt, eine umfassende aussagepsychologische Analyse vorzunehmen und auf die Einhaltung der gefestigten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur sogenannten Nullhypothese zu bestehen.

Der Bundesgerichtshof hat in einer Grundlagenentscheidung dargelegt, dass wissenschaftliche Mindestanforderungen bei aussagepsychologischen Gutachten einzuhalten sind.

Darüber hinaus gilt nach dem Bundesgerichtshof für Strafsachen, dass auch in den Urteilsgründen im Falle der Verurteilung eine eigene Würdigung durch das Gericht hinsichtlich der belastenden Aussage stattfinden muss. Es muss die Entstehung und die Entwicklung der Aussage, die sogenannte Aussagegenese dargelegt werden.

Anhand der sogenannten Realkennzeichenlehre ist eine ausführliche Inhaltsanalyse der Aussage vorzunehmen. Ferner sind Einflüsse von Suggestionen zu prüfen und darzulegen. Liegt eine suggestiv beeinflusste Aussage vor, kann nicht mehr von der Erlebnisbasiertheit, also Wahrheit dieser Aussage ohne Weiteres ausgegangen werden und eine Inhaltsanalyse im eigentlichen Sinne nicht mehr stattfinden.

Bei der Aussageanalyse gilt nach dem Bundesgerichtshof die immer wieder von Staatsanwaltschaften und Gerichten missachtete sogenannte Nullhypothese. Als Ausfluss des in dubio pro reo („im Zweifel für den Beschuldigten“)- Grundsatzes ist bei einer Aussage-gegen-Aussage-Situation zunächst von der Unwahrheit der belastenden Aussage auszugehen. Die Glaubhaftigkeit der spezifischen Aussage ist also so lange zu negieren, bis diese Negation mit den übrigen bestehenden Fakten nicht mehr vereinbar ist. Erst dann sollen Staatsanwalt, Gericht oder Sachverständiger bei der Begutachtung einer Belastungsaussage zu der Hypothese gelangen, die Belastungsaussage sei wahr (Alternativhypothese).

Im Grundsatz ist aber zunächst von der Unwahrheit (Nullhypothese) auszugehen. Eine kritische Aussageanalyse bereits im Ermittlungsverfahren unter ausführlicher Darlegung der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Nullhypothese führte in der Vergangenheit in vielen Fällen dazu, dass wir bei der Staatsanwaltschaft eine Druckschwelle aufbauten, die schließlich zur Einstellung des Verfahrens mangels Tatverdacht führte. Lässt man diese Chance ungenutzt, werden häufig Schwächen der Aussage durch die Staatsanwaltschaften übergangen und Anklage erhoben. Umso wichtiger ist es bereits die Chance auf Einstellung im Ermittlungsverfahren durch einen versierten Fachanwalt für Strafrecht und einen auf das Sexualstrafrecht spezialisierten Rechtsanwalt zu nutzen.

In vielen Fällen können wir mit unseren Anträgen nicht allein anhand der Nullhypothese, sondern vielmehr darüberhinausgehend begründen, weshalb es konkrete Anzeichen für die Unwahrheit der Belastungsaussage gibt. Dann ist die Nullhypothese, also die Hypothese, dass die Aussage unwahr ist, bestätigt.

Bewusste Falschaussage oder unbewusste Falschaussage

Insbesondere bei Kindern und Jugendlichen aber auch vielfach bei Erwachsenen müssen unwahre Aussagen nicht immer auf einer bewussten Falschbehauptung beruhen. In vielen Fällen können wir in unseren Anträgen auch zureichende Anhaltspunkte für eine Auto- oder Fremdsuggestion darlegen. Bei sogenannten Autosuggestionen imaginiert der Aussagende eine Scheinerinnerung (häufig als sogenannte Konfabulation identifizierbar). Auch können insbesondere bei entsprechend vorgeprägten Vernehmungsbeamten Fremdsuggestionen bei Personen mit geringen Suggestionswiderstand (insbesondere Kinder und Jugendliche) erzeugt werden.

In Kenntnis dieser Strukturen können wir in unseren Anträgen vielfach die Grundlage für Hypothesen begründen, die für den Beschuldigten günstig sind. So können z. B. Einschränkungen bei der Aussagetüchtigkeit vorliegen, Anhaltspunkte für eine gezielte oder bewusste Falschaussage herausgearbeitet werden oder aber die vorstehend erklärte Suggestionshypothese mit Leben gefüllt werden.

Suggestionen beruhen aber nicht immer auf falschen Befragungstechniken der Vernehmungsbeamten, sondern können insbesondere bei Kindern und Jugendlichen auch durch sogenannte Nahbereichspersonen hervorgerufen werden, die im Vorfeld einer Vernehmung Kindern oder Jugendlichen – aus falsch verstandenem Interesse – eine belastende Aussage sprichwörtlich in den Mund legen.

Immer wieder kommt es auch vor, dass Personen (insbesondere Kinder und Jugendliche) tatsächlich Opfer einer Sexualstraftat geworden sind, diese aber aufgrund einer Konfabulation oder Scheinerinnerung zu Unrecht auf die falsche Person transferieren (sogenannte Transferhypothese).

Nur mit entsprechender Erfahrung in der aussagepsychologischen Analyse und der entsprechenden Rechtsprechung kann überzeugend  dargelegt werden, dass eine Verurteilung auf die Belastungsaussage nicht gestützt werden kann, sodass das Verfahren mangels Tatverdacht einzustellen ist.

Aussagegenese

Der Bundesgerichtshof für Strafsachen gibt vor, dass im Falle einer Verurteilung aber auch bei Freisprüchen die Belastungsaussage in ihrer Entstehung in den Urteilsgründen dargestellt werden muss. Die Bedeutung der Aussagegenese, also der Entstehung der Aussage kann für den versierten Strafverteidiger im Sexualstrafrecht schon im Ermittlungsverfahren fruchtbar gemacht werden, um eine spätere Gerichtsverhandlung zu verhindern.

Aussageentstehung ist deshalb so bedeutsam, weil sie den Zugang zur sogenannten Suggestionshypothese ermöglicht. Lassen sich also vor oder bei der Aussageentstehung hinreichend Anhaltspunkte für Suggestionen, etwa aus dem Vernehmungsprotokoll entnehmen, können wir hier vielfach zahlreiche Argumente darlegen, die eine Fremdsuggestion stützen. Im Rahmen der Aussageentstehung wird also untersucht, ob insbesondere Vernehmungsbeamte, Schilderungen vorgeben, die dann unkritisch durch den Aussagenden oder die Aussagende übernommen worden sind.

Vielfach kann auch die häufig fehlgeleitete Arbeit sogenannter „Opferverbände“ Anhaltspunkte für eine Suggestion bei der Aussageentwicklung bieten. Wenn zahlreiche „Therapiegespräche“ vor einer Vernehmung stattgefunden haben, kann dies zu bemerkenswerten Konfabulationen und Scheinerinnerungen, also hochgradig suggestiven Elementen führen.

Wie funktioniert menschliche Erinnerung?

Mittlerweile ist glücklicherweise durch zahlreiche auch internationale Studien belegt, wie fehleranfällig das menschliche Erinnerungsvermögen ist. Wir als auf das Sexualstrafrecht spezialisierte Rechtsanwälte wissen diese Erkenntnisse, die mittlerweile auch Eingang in die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs gefunden haben, für unsere Mandanten zu nutzen. Die durch Verteidiger dargestellten Argumentationsmodelle zu Scheinerinnerungen sind keine bloß hypothetisch fixe Ideen, sondern können bei entsprechend detaillierter Aussageanalyse und kompetenter Darstellung des wissenschaftlichen Standards sowie der Rechtsprechung überzeugend dargelegt werden. Das menschliche Gehirn produziert – dies ist in der Forschung unstreitig – permanent Scheinerinnerungen.

Scheinerinnerungen sind keine Lügen, sondern Irrtümer. Sie entstehen insbesondere durch fremd- oder autosuggestive Prozesse.

Die Forschung unterscheidet dabei überwiegend nach drei Phasen menschlicher Erinnerung:

  1. Wahrnehmung eines Sachverhalts (Wahrnehmungsphase)
  2. Speicherung einer Erinnerung (Speicherungsphase)
  3. Wiedergabe eines Sachverhalts (Reproduktionsphase)

In jeder der drei vorgenannten Phasen sind Einflüsse auf die Aussage denkbar. Bei der Wahrnehmungsphase können bereits Wahrnehmungshindernisse bestehen oder aber die Wahrnehmungsphase fehlt in Gänze, wenn eine Erinnerung aufgrund eines ganz anderen Sachverhalts, der tatsächlich passiert ist, falsch wahrgenommen oder abgespeichert wird. Lesenswert in diesem Zusammenhang ist das Buch „Das trügerische Gedächtnis“ von Dr. Julia Schor, die auf eine für den Laien verständliche Weise begreifbar macht, wie Scheinerinnerungen auch ganz bewusst im menschlichen Gehirn implementiert werden können und wie diese im tagtäglichen Leben bei jedermann zustande kommen.

Suggestion durch Vernehmungsbeamte und Vorgespräche

Trotz der Spezialisierung in den polizeilichen Dezernaten zum Sexualstrafrecht, finden in der weit überwiegenden Anzahl von polizeilichen Vernehmungen im Sexualstrafrecht erschreckende Suggestionen statt. Diese führen zu scheinbaren Falschbeschuldigungen und können bei frühzeitiger Einschaltung eines Strafverteidigers für den Beschuldigten nutzbar gemacht werden. Anhand dieser lässt sich nämlich aufzeigen, dass derart zustande gekommene Aussagen kein Glauben geschenkt werden darf:

  1. In den Mund legen: In besonders krassen Fällen werden ganze Sachverhaltselemente vorgegeben. Beispiel: „Du bist ja heute hier, um darüber zu berichten, dass dein Papa dich auf dem Camping-Platz angefasst hat. Wo hat er dich denn genau angefasst?“
  2. Nicht minder beeinflussend sind sämtliche Insbesondere Kinder und Jugendliche – dies ist wissenschaftlich belegt – wollen dem Gesprächspartner in der Regel gefallen. Das bedeutet, dass sie bei vorgegebenen Suggestivfragen viel eher mit „Ja“ antworten, als mit „Nein“. Kinder merken sehr genau, wann ein Erwachsener eine bestimmte Antwort verlangt und wollen diesem Verlangen gerecht werden. Aussagen, die auf solche Suggestivfragen hin gemacht werden, haben daher nur einen geringen Beweiswert, was allerdings vielfach den Staatsanwaltschaften erst erklärt werden muss.
  3. Insistieren: Vielfach neigen Vernehmungsbeamte auch dazu, immer wieder die gleichen Fragen zu stellen, wenn die Antwort zunächst für das Ermittlungsergebnis unbefriedigend war. Irgendwann brechen auch suggestionsbeständige Zeugen ein und geben die Antwort, die der Vernehmungsbeamte hören will.
  4. Häufig werden von den Vernehmungsbeamten keine Fragen zu Aussagegenese und Aussageentwicklung gestellt, obwohl diese von größter Bedeutung sind. Hier muss der Verteidiger gegebenenfalls mit entsprechenden Beweisanträgen bereits im Ermittlungsverfahren agieren.
  5. Abstrakte Behauptungen stehen lassen. Vielfach sind Zeugen zunächst nicht in der Lage, einen Sachverhalt mit eigenen Worten zu beschreiben und benutzen Begrifflichkeiten des Vernehmungsbeamten oder des Gesetzes, wie „Vergewaltigung“ oder „Missbrauch“. Auf derartige Aussagen kann allerdings kein konkretes Tatgeschehen geschützt werden, weil jeder etwas anderes hierunter versteht. Wenn es dann Vernehmungsbeamte unterlassen, hier konkrete Nachfragen zu stellen, liegt zumindest keine Aussage vor, auf die eine Anklage gestützt werde sollte.
  6. Bewertung: Glücklicherweise sind im Sexualstrafrecht die meisten Vernehmungen videodokumentiert, sodass der Verteidiger auch nicht protokollierte Bewertungen, die etwa durch Grimassieren, Nicken oder Kopfschütteln entlarvt werden können; dies zumindest, wenn der Vernehmungsbeamte in der Videodokumentation ebenfalls sichtbar ist. Aber auch klassisch sprachliche Bewertungen führen zu Unsicherheiten des Zeugen und können sein Suggestionswiderstand brechen, weil er oder sie dem Vernehmungsbeamten gefallen will.
  7. Unverständlichkeit: Gerade bei kindlichen und jugendlichen Zeugenaussagen aber auch bei intellektuell Minderbegabten ist es zwingend eine Sprache zu verwenden, die der Zeuge auch versteht. Hierauf wird von vielen Vernehmungsbeamten keine Rücksicht genommen, sodass dem Zeugen hilflos Worte in den Mund gelegt werden, die er selbst nicht verstehen kann.

Die vorstehenden Fehler bei Vernehmungen sind nur ein nicht abschließender exemplarischer Überblick. Für den auf das Sexualstrafrecht spezialisierten Verteidiger und Rechtsanwalt ist es erforderlich alle Schwächen der Vernehmung und der Aussage dezidiert herauszuarbeiten, um dann gegebenenfalls bereits im Ermittlungsverfahren basierend auf einer entsprechend begründeten Antragsschrift die Einstellung des Verfahrens zu verlangen.

Verloren ist derjenige, der darauf vertraut, dass Staatsanwaltschaften und Gerichte sich eigenständig und intensiv auf diese Fehlersuche machen. In aller Regel muss erst durch einen hartnäckigen und entsprechend fachkundigen Verteidiger die Druckschwelle hoch gesetzt werden, damit die Augen vor den Fehlerhaftigkeiten und Angriffsflächen nicht verschlossen werden.

 

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Nehmen Sie Kontakt zu Ihrer Kanzlei im Sexualstrafrecht auf und vereinbaren sie jederzeit einen persönlichen und kostenlosen Gesprächstermin mit Fachanwalt für Strafrecht Dr. Hennig oder einem Anwalt für Sexualstrafrecht Ihrer Wahl aus dem Defensio-Anwaltsteam.

Da wir gerade im Ermittlungsverfahren bereits sehr häufig erfolgreich sind und allein durch schriftliche Anträge die Einstellung des Verfahrens erwirken können, verteidigen wir auch bundesweit im Sexualstrafverfahren.

Fachanwalt für Strafrecht Dr. Hennig und Fachanwalt für Strafrecht Albrecht sowie die weiteren Rechtsanwälte im Verteidigerteam sind an allen deutschen Amtsgerichten, Landgerichten, Oberlandesgerichten und dem Bundesgerichtshof für Strafsachen zugelassen.